Was verrät ein Literaturarchiv über die Menschen, die mit Literatur ,umgehen‘ – sie schreiben, lesen, übersetzen, verlegen, auszeichnen, kritisieren, loben, aufführen, vorlesen, analysieren, interpretieren?
Ein Blick ins Literaturarchiv verspricht immer auch Einblicke ins Nähkästchen. Wobei Autor:innen in ihren persönlichen, privaten und intimen Überlieferungen nicht unbedingt weniger erfinderisch sind als bei ihrer Literatur.
Foto: DLA Marbach
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+++ Für die Griechisch-Prüfung hatten die Schüler dem Lehrer das Notizbuch mit den Aufgaben entwendet. Kafka plagt lange das schlechte Gewissen und die Angst, im Nachhinein aufzufliegen.
+++ 1919 wird Kafka in einem nie abgeschickten Brief an seinen Vater schreiben: „Niemals würde ich durch die erste Volksschulklasse kommen, dachte ich, aber es gelang, ich bekam sogar eine Prämie; aber die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium würde ich gewiss nicht bestehn, aber es gelang; aber nun falle ich in der ersten Gymnasialklasse bestimmt durch, nein, ich fiel nicht durch und es gelang immer weiter und weiter. Daraus ergab sich aber keine Zuversicht, im Gegenteil, immer war ich überzeugt – und in Deiner abweisenden Miene halte ich förmlich den Beweis dafür – dass, je mehr mir gelingt, desto schlimmer es schließlich wird ausgehn müssen.“
1901, Juli: Abiturzeugnis von Franz Kafka (1883–1924)
Kafka, der in der Prager Altstadt von 1889 bis 1893 die deutschsprachige Knaben-Volksschule und dann bis zum Sommer 1901 das Gymnasium besucht, ist der Jüngste von 24 Schülern seines Jahrgangs und erst am 3. Juli 18 geworden – fünf Tage vor Beginn der mündlichen Prüfungen in Latein und Griechisch. Zur Belohnung für das bestandene Abitur schenken die Eltern Kafka eine Reise nach Helgoland und Norderney.
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1911, Spätsommer: Taschenkalender von Hermann Hesse (1877–1962) mit eine Gepäckliste für eine Reise nach Hinterindien
Hesse nimmt, als er am 7. September mit dem befreundeten Maler Hans Sturzenegger auf dem Dampfer „Prinz Eitel Friedrich“ zu einer Indienreise aufbricht, ein Taschenbesteck mit. Dazu „Walda“-Hals-Pastillen, Kragen-Nadel, Schiffslektüre, 3 Brillen, 2 Schutzbrillen, 2 Paar Strandschuhe, 2 Mützen, 1 Stoffhut, Schreibpapier, Naphtalin, Essigäther, Schuhlöffel, 2 Paar Hosenträger, Handbürste, 4 Zahnbürsten, 2 Veronal, 1 Aspirin, 2 Rasierseifen, 5 Notizbücher, 3 Bleistifte, 2 Netzleibchen, 1 Gilette, 9 weiße Hemden und 15 Paar neue Socken.
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Durch Ihren letzten Brief habe ich eine sehr deutliche Vorstellung von Ihrem Leben bekommen. Hier ist auch trübes Wetter, aber um 2 Uhr mittags muß man das Licht nur in dunklen Hofzimmern anzünden, wie es das Ihre ist. Daß Sie Klavier spielen und Musik lieben wußte ich, glaube ich, gar nicht. Mit wem spielen Sie Klavier und mit wem machen Sie Ausflüge ins Gebirge. Um Ihre Schlafsucht beneide ich Sie. Wie müssen Sie ihr an Sonntagnachmittagen in dem dunklen Zimmer nachgeben! Wenn ich das könnte! Wenn sich der Schlaf irgendwie um mich [kümmerte! Während der Zahnschmerzen, da sie mir den Kopf dumpf machten (die Schmerzen selbst sind schon vorüber, hätte ich vom Kamillentee gewußt, hätte ich ihn genommen, Medicinen aber darf man mir nicht anraten) schlief ich beiläufig, aber seit 2 Tagen fast gar] nicht. Diese Art [Schlaf, die ich habe], ist mit oberflächlichen, [durchaus nicht] phantastischen, sondern das Tagesdenken nur aufgeregter wiederholenden Träumen durchaus wachsamer und anstrengender als das Wachen. Es gibt Augenblicke im Bureau, wo ich redend oder diktierend richtiger schlafe als im Schlaf. Und Sie haben solche Schlafsucht! Schlafen ist besser als Lesen; nur unter diesem Vorbehalt nenne ich Ihnen ein Buch, allerdings ein prachtvolles und eines überdies, in dem alles steckt, was an Wien Gutes ist. Bitte lesen Sie es! „Mein Leben“, von Gräfin Lulu Thürheim, Verlag Georg Müller, 2 Bände. In der Universitätsbibliothek bekommen Sie es gewiß. Es ist teuer, ungebunden glaube ich 12 M.
Herzliche Grüße Ihres FKafka
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+++ Die Stücke, die Grete Bloch ihrer Freundin gab, sind heute in unbekanntem Privatbesitz, wurden aber vorher abgeschrieben, sodass wir das Briefstück kennen, das sie an Felice weitergab:
„Liebes Fräulein, nein, das glaube ich nicht und auch Sie schreiben es nur ohne Glauben hin: F. hätte mir ohne Ihren Brief nicht geschrieben. Mißverstehen Sie mich nicht, ich bin ja damit zufrieden, daß sie mir aus eigenem Antrieb nicht geschrieben hat, ich will sie ja so haben oder besser und einfacher, ich will sie gerade so haben, wie sie ist. Wollte ich aber sophistisch sein, dann müßte ich allerdings sagen (ich sage es nicht, aber ich verschweige es auch nicht) daß es für mich schlimmer ist, daß sie jetzt geschrieben hat, schlimmer, als wenn sie nicht geschrieben hätte; denn es zeigt, daß nur ein überwindbarer Widerstand vorhanden war, den zwar Sie überwinden konnten, ich aber nicht.
Was Sie über gegenseitige Hilfe sagen ist, ist nicht ganz richtig. Wenn einer ins Wasser fällt und der andere auf sein Geschrei hin ihn herauszieht, so ist das ein Regelfall der Hilfe und erzeugt vielleicht unter guten Freunden kein „Verpflichtetsein“. Sie aber mußten, um mir zu helfen, eine Unwahrheit sagen, mußten also etwas tun, was Sie, um sich zu retten, gewiß nicht tun würden, und ich, um mich zu retten, vielleicht, allerdings nur vielleicht auch nicht. Darum also bin ich Ihnen „verpflichtet“ weil Sie nicht nur etwas für mich, sondern gleichzeitig auch etwas gegen sich haben tun müssen. Vielleicht haben Sie das aus Gutherzigkeit nicht so schwer getragen, desto schwerer bis zum Ekel ich. Darf ich Sie bitten (nicht etwa um mein „Verpflichtsein“ aufzuheben, solche Aufhebung gibt es nicht) selbst in Ihrem nächsten Brief an F., ohne mich irgendwie zu schonen, offen einzugestehn, daß ich von Ihrem ersten Briefe wußte, selbst ihn veranlaßt habe und durch ihn, wie es sich ja auch als berechtigt erwiesen hat, eine Nachricht von ihr zu erreichen hoffte. Bitte liebes Fräulein schreiben Sie ihr das undzwar ohne Rücksicht darauf, was F. selbst mir antwortet, was übrigens bis heute nicht geschehen ist, trotzdem es schon hätte geschehen können.“
1914, 11. Februar: Franz Kafka (1883–1924) an Grete Bloch (1892–1944)
Grete Bloch ist mit Felice Bauer befreundet, der Kafka seit eineinhalb Jahren den Hof macht und mit der er sich an Pfingsten verloben wird. Bald wird sie zur Vermittlerin. Als Kafka allerdings über Felice zu lästern beginnt, schneidet sie nach langem Zögern aus seinen Briefen die entsprechenden Stellen heraus und gibt sie Felice, die daraufhin im Juli die Verlobung lösen wird.
Auf dem Briefrest, den Grete Bloch behalten hat, klagt Kafka unter anderem: „Es gibt Augenblicke im Bureau, wo ich redend oder diktierend richtiger schlafe als im Schlaf. Und Sie haben solche Schlafsucht! Schlafen ist besser als Lesen“.
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„Lieber Max nur Zufall, dass ich erst heute antworte und eben auch die Zimmer- Licht- und Mäuseverhältnisse. Aber mit Nervosität und einem Stadt-Dorf-Austausch hat das nichts zu tun. Das was ich gegenüber den Mäusen habe, ist platte Angst. Auszuforschen woher sie kommt, ist Sache der Psychoanalytiker, ich bin es nicht. Gewiss hängt sie wie auch die Ungezieferangst mit dem unerwarteten, ungebetenen, unvermeidbaren, gewissermassen stummen, verbissenen, geheimabsichtlichen Erscheinen dieser Tiere zusammen, mit dem Gefühl dass sie die Mauern ringsherum hundertfach durchgraben haben und dort lauern, dass sie sowohl durch die ihnen gehörige Nachtzeit als auch durch ihre Winzigkeit so fern uns und damit noch weniger angreifbar sind. Besonders die Kleinheit gibt einen wichtigen Angstbestandteil ab, die Vorstellung z.B. dass es ein Tier geben sollte, das genau so aussehn würde wie das Schwein, also an sich belustigend, aber so klein wäre wie eine Ratte und etwa aus einem Loch im Fussboden schnaufend herauskäme – das ist eine entsetzliche Vorstellung.
Seit paar Tagen habe ich einen recht guten wenn auch nur provisorischen Ausweg gefunden. Ich lasse die Katze während der Nacht im leeren Nebenzimmer, verhüte dadurch die Verunreinigung meines Zimmers (schwer ist sich in dieser Hinsicht mit einem Tier zu verständigen. Es scheinen lediglich Missverständnisse zu sein, denn die Katze weiss infolge von Schlägen und verschiedenen sonstigen Aufklärungen, dass die Verrichtung der Notdurft etwas unbeliebtes ist und der Ort dafür sorgfältig ausgesucht werden muss. Wie macht sie es also? Sie wählt z.B. einen Ort, der dunkel ist, der mir ferner ihre Anhänglichkeit beweist und ausserdem natürlich auch für sie Annehmlichkeiten hat. Von der Menschenseite aus gesehn ist dieser Ort zufällig das Innere meines Pantoffels. Also ein Missverständnis und solcher gibt es soviele als Nächte und Bedürfnisse) und die Möglichkeit des Bettsprungs, habe aber doch die Beruhigung, wenn es schlimm werden sollte, die Katze einlassen zu können. Diese letzten Nächte waren auch ruhig, wenigstens gab es keine ganz eindeutigen Mäuseanzeichen. Dem Schlaf nützt es allerdings nicht, wenn man einen Teil der Katzenaufgabe selbst übernimmt, mit gespitzten Ohren und Feueraugen aufrecht oder vorgebeugt im Bett horcht, aber so war es nur in der ersten Nacht, es wird schon besser.
Ich erinnere mich an die besonderen Fallen, von denen Du mir schon öfter erzählt hast; die sind aber wohl jetzt nicht zu haben, auch will ich sie eigentlich nicht. Fallen locken ja sogar noch an und rotten nur die Mäuse aus, die sie totschlagen. Katzen dagegen vertreiben die Mäuse schon durch die blosse Anwesenheit, vielleicht sogar schon durch die blossen Ablagerungen, weshalb auch diese nicht ganz zu verachten sind. Auffallend war es besonders in der ersten Katzennacht, welche auf die grosse Mäusenacht folgte. Es war zwar noch nicht ganz ›mäuschenstill‹ aber keine lief mehr herum, die Katze sass, verdüstert wegen des ihr aufgezwungenen Lokalwechsels im Winkel beim Ofen und rührte sich nicht, aber es genügte, es war wie die Anwesenheit des Lehrers, nur noch geschwätzt wurde hie und da in den Löchern.
Du schreibst so wenig von Dir, ich räche mich mit den Mäusen.«
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1917, Ende November: Franz Kafka (1883–1924) an Max Brod (1884–1968)
Nach einem Blutsturz im August wird bei Kafka Tuberkulose diagnostiziert (was er den Eltern gegenüber als „Nervosität“ verschleiert). Er wird als Jurist der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen beurlaubt und zieht nach Zürau, wo seine Schwester Ottla ein kleines Gut bewirtschaftet: „Lieber Max nur Zufall, dass ich erst heute antworte und eben auch die Zimmer- Licht- und Mäuseverhältnisse. Aber mit Nervosität und einem Stadt-Dorf-Austausch hat das nichts zu tun. Das was ich gegenüber den Mäusen habe, ist platte Angst.“ mehr
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1917, 30. Dezember: Versuch einer Versöhnung“ –Heinrich Mann (1871–1950) an seinen Bruder Thomas (1875–1955)
Der Erste Weltkrieg spaltet die beiden ungleichen Brüder. Der erste liebt Frankreich und beklagt von Anfang an den Krieg, der zweite ist zunächst von der Kriegsbegeisterung beeindruckt. Eine Reihe von Missverständnissen lässt sie drei Jahre lang kein Wort mehr wechseln. Erst als Thomas am 27. Dezember 1917 im Berliner Tagblatt den Bruderhass anprangert, sieht das Heinrich als versöhnliche Geste. Er entwirft einen Brief, den er dann auch abschickt: „In meinen öffentlichen Kundgebungen kommt kein ‚Ich‘ vor, und daher auch kein Bruder. Sie sind in das Weite gerichtet […]. Liebe zur Menschheit (politisch gesprochen: europäische Demokratie) ist allerdings die Liebe einer Idee; wer aber sein Herz so sehr in die Weite hat erheben können, wird es des öftern auch im Engen erwiesen haben.“ Thomas wird am 3. Januar zurückweisend antworten: „Lebe wohl.“
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+++ Im Manuskript des Briefs gibt Kafka mit Unterstreichungen und Gedankenstrichen Regieanweisungen für das Lesen. Im Sommer 1920 widmet er den Brief um: statt dem Adressaten, seinem Vater, gibt er ihn Milena Jesenská zum Lesen, fertigt für sich eine Schreibmaschinenabschrift an und fügt für sie mit Bleistift eine Erläuterung auf der zweiten Seite ein: „das ist Kindespflicht ich wollte solche Erklärungen schreiben Milena, aber ich bringe es nicht über mich den Brief darauf hin noch einmal zu lesen, die Hauptsache bleibt ja verständlich“ .
+++ Diesen „Riesenbrief“ an den Vater kündigt Kafka Milena wiederum in einem Brief an: “Morgen schicke ich Dir den Vater-Brief in die Wohnung, heb ihn bitte gut auf, ich könnte ihn vielleicht doch einmal dem Vater geben wollen. Laß ihn womöglich niemand lesen. Und verstehe beim Lesen alle advokatorischen Kniffe, es ist ein Advokatenbrief. Und vergiß dabei niemals Dein großes Trotzdem.“ (4./5.7.1920)
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1919, 10. bis 13. November: „Brief an den Vater“ von Franz Kafka (1883-1924)
Als sich Kafka im Herbst 1919 mit Julie Wohryzek verloben möchte, holt sein Vater Erkundigungen über deren Lebenswandel ein – und bietet dem Sohn eine Alternative an: den Gang ins Bordell. Der Streit eskaliert, Kafka beginnt einen Brief, der ihm schnell unter der Hand zum eigenständigen literarischen Text gerät: 103 Seiten sind es am Ende, die den Vater allerdings nie erreichen.
Veröffentlicht wird der Brief an den Vater das erste Mal 1952 (in der Zeitschrift „Die neue Rundschau“).
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+++ Schon ein Jahr vorher, im Jahr der Olympischen Sommerspiele in Antwerpen, schwindelte Kafka: „Ich kam von der Olympiade in X, wo ich einen Weltrekord im Schwimmen erkämpft hatte.“
1921, 4. März: Franz Kafka (1883-1924) an seinen Schwager
Kafka, der wegen seiner Tuberkulose in der Hohen Tatra ein halbes Jahr zur Kur ist, nimmt den Mann seiner Schwester Ottla mit seiner tschechisch geschriebenen Karte auf den Arm: „ich habe mich nämlich an den großen Skirennen in Polianka beteiligt – sicher hast Du davon in der Tribuna gelesen – und habe mir dabei den Nagel des rechten kleinen Fingers eingerissen. Macht nichts. Darauf bin ich auf den Skiern nach Matliary zurückgegangen. Auf dem Krivan habe ich mich photographieren lassen, wie Du auf der Rückseite siehst.“
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+++ Ein Identitätsausweis sichert dem Ehepaar Mann zunächst bis 1935 zu, nach Auslandsreisen wieder in die Schweiz zurückkommen zu dürfen. 1934 und 1935 machen Manns ausgiebig davon Gebrauch und reisen zwei Mal mit dem Schiff nach Amerika. 1936 wird Thomas Mann die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, im Februar 1938 gehen die Manns ganz ins amerikanische Exil, zunächst nach Princeton, dann nach Pacific Palisades in Kalifornien. Im Sommer 1939 reist Thomas Mann vorerst das letzte Mal nach Europa, dann erst wieder 1949, bis das Ehepaar 1952 ganz an den Zürcher See zurückziehen wird.
+++ Zum ersten Mal in ein richtiges Flugzeug steigt Thomas Mann im Juni 1935, als er von New York nach Washington fliegt. Ansonsten reisen die Manns meistens mit dem Zug, in Nordamerika sehr gern in den komfortablen Schlaf- und Salonwagen der ‚Pullmann Palace Car Company‘ – so oft, dass Tochter Erika erzählt, sie antworte auf die Frage, wo sie zu Hause sei: „Mein Vaterland ist der Pullman-Wagen.“
Identitätsausweis des Ehepaars Mann:
1933, Sommer: Thomas Mann (1875–1855) mit seiner Frau Katia und den Kindern Erika und Golo in einem Kulissenflugzeug auf einem südfranzösischen Jahrmarkt
Katia und Thomas Mann hatten 1933 nach Hitlers Wahl zum Reichskanzler München im Februar verlassen, um auf eine Vortragsreise nach Amsterdam, Brüssel und Paris zu gehen und danach in Arosa Winterurlaub zu machen, wo sie sich entschließen, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Sie reisen weiter nach Südfrankreich, dann an den Zürichsee. 1938 gehen sie nach Amerika ins Exil.
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1937ff.: Seite aus den Materialien für "Der leidenschaftliche Gärtner" von Rudolf Borchardt (1877–1945)
‚Säen, Pflanzen, Graben, Nähren‘ heißt ein Kapitel des Buches, an dem Borchardt seit spätestens 1937 in der Toskana schreibt: „Ehe Blumen gemacht werden können, muss im gemeinsten Wortsinne Erde gemacht werden; denn sie ist, im gemeinsten Wortsinne, nirgends vorhanden.“
Für den jüdischen Schriftsteller Borchardt ein Gleichnis seines eigenen Lebens: „Dieses deutscheste Buch eines deutschesten Dichters hat seinen geistigen Nährboden ganz und ausschließlich im deutschen Blumentopfe, auch wenn es aus ihm nicht leben kann und sich mit Luftwurzeln fremde reiche Erde erobern muss.“
Im August 1944 werden Borchardt und seine Frau in Italien von der SS verhaftet und nach Innsbruck transportiert, sie versteckten sich in Tirol, wo Borchardt im Januar 45 an Herzversagen stirbt.
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zur digitalen Erschließung des dritten Selbstporträtgedichts von Peter Rühmkorf
1987/1988: unterschiedliche Selbstporträts aus dem Manuskript zu "Selbst III/88. Aus der Fassung" von Peter Rühmkorf (1929–2008)
Zu seinem 60. Geburtstag lässt Rühmkorf 695 Blätter zu seinem Gedicht als Buch drucken: Vorstufen, Umarbeitungen, Fassungen, Einfälle, Zeichnungen – der schöpferische Prozess als Selbstporträt: „Wo immer ich gehe, stehe, sitze, liege oder fliege, rast, flattert, flimmert, wedelt, taumelt, fegt und schwebt so viel poetischer Leuchtstoff auf meinem inneren Wahrnehmungsschirm vorbei, daß ich ihn in der Eile (statt ihn in den grauen Müllsack segeln zu lassen) in diesem vorläufigen Zustand einer ersten Anwehung festzuhalten such.“
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